Der Weg der Liebe im Licht der Sterne

 

~ Elias ~
 
Mit einem leisen Seufzer ließ Patou seinen Kopf sinken und schloss seine Augen, die von den zahlreichen Eindrücken eines arbeitsreichen Tages schläfrig geworden waren.  Er entspannte sich sichtlich, jedoch nicht ohne ein wachsames Ohr für die Geräusche der hereinbrechenden Dämmerung zu bewahren.  Er zwinkerte noch einmal mit den Augen, um nicht den Augenblick zu verpassen, indem langsam der glühende Feuerball am Himmel die umliegende weite Bergkette küsste, und diese zart erröten ließ. Schnell würde es kälter werden, auch wenn die Steine um ihn herum die Wärme des Tages gespeichert hatten, damit die Pflanzen eine Lebenschance erhielten, und diesem rauen Klima widerstehen konnten.  Er spürte den leichten Wind, der von Westen über den Gipfel wehte, und die wenigen Wolken auf seine Reise mitnahm. An der Farbe des Himmels konnte man erkennen, dass das Wetter stabil bleiben, und sich morgen erneut ein sonniger Tag anbahnen würde.  Wenn man viel in der Natur war, lernte man die Wetterumschwünge anhand des Windes und der Wolken zu deuten, und nach gewisser Zeit verwandelte es sich in ein tiefes wissendes Gefühl, welches den Urvölkern nie verloren ging. 

Den Vogelgesang, der aus den unteren bewaldeten Regionen heraufklang, saugte zögernd die heranschleichende Nacht ein, und die Stille würde bald an deren Stelle treten.  Vielleicht verirrten sich ein paar nachtaktive Tiere in diese Höhen, doch  dies wäre eher eine seltene Ausnahme.  Hier auf diesem Bergrücken konnte man dem Schweigen lauschen, denn keine Geräusche aus dem Tal hatten den Mut der Schwerkraft zu trotzen, um in die ätherischen Höhen zu gelangen. Wenn man tief in sich hineinlauschte, vermochte der Klang der Sterne zu einem durchringen, denn alles in diesem weiten Universum bestand aus unendlichen Atomen, die einander berührten, und eine wunderschöne vollendete Musik erklingen ließen. 

 
Neben Patou zischte und fauchte es plötzlich, und helle Flammen erleuchteten die Dunkelheit, im Kampf, wer ungestümer den Nachthimmel erobern konnte.  Durch das sauber aufgeschichtete trockene Holz, welches von Steinen begrenzt wurde, ließ sich die Kraft des Feuers bändigen, und man konnte die wohltuende Wärme genießen, die mit ihrer Strahlkraft jede einzelne Pore berührte.  Wie abhängig wir doch von den fünf Elementen sind, und nur eines braucht uns, damit wir es ausdrücken und diesem Leben einhauchen, denn das fünfte und wichtigste Element, neben Feuer, Wasser, Erde und Luft, ist die Liebe.  Was wäre die Liebe ohne den Steinen, Pflanzen, Tieren und Menschen, die ihr Bestes gaben, um sie zu verbreiten und zu leben.  Jedoch brauchte sie uns auch nicht um zu existieren, denn das ist das große Paradoxon, das ewige Rätsel dieses Mysteriums. 
 
Langsam stieg der Duft einer Wurst in Patous Nase, die er besonders liebte, wenn sie nur kurz dem Feuer ausgesetzt war, und sich nur leicht erwärmte, um einen flüchtigen rauchigen Nachgeschmack zu hinterlassen. Die Vorfreude auf diese Köstlichkeit ließ ihn wieder wacher werden, und er setzte sich in einem respektvollen Sicherheitsabstand zum Feuer nieder. 
 
Elias strich zärtlich über seinen Kopf und sah gedankenverloren in die Flammen. Er genoss diese langen Sommerabende in vollen Zügen, die er an der Seite seines guten treuen Freundes Patou auf dem Gipfel des Ezkaurre verbringen durfte.  Von hier oben gelangte er zu größerem Weitblick, der sich im Äußeren durch das ausgedehnte Massiv der Pyrenäen ausdrückte, und im Inneren den Schlüssel zu seiner Seele barg, den er oft in seinem jüngerem Leben vermisst hatte.  430 Kilometer erstreckte sich diese Gebirgskette zwischen dem Golf de Roses (Mittelmeer) und dem Golf von Biscaya (Atlantik) und trennte die Iberische Halbinsel Spaniens mit ihrer Erhebung von Frankreich.  Auf diesem Gipfel, der über 2000 Höhenmeter über dem Meeresspiegel lag, sah er nur die schneebedeckten Spitzen, mit den darunter liegenden weich geschwungenen Almwiesen, die mit dichten grünen Wäldern durchzogen waren, und die Grenzen der zwei Länder verwischen ließen. Er verstand ohnehin nicht, wie man Landschaften abgrenzen konnte, denn der Boden, die Natur, Luft und Wasser sollten doch für alle frei zugänglich sein, da wir nicht das Recht hatten, es besitzen zu wollen. Jeder sollte sich dort niederlassen, wo ihn sein Herz hinführt, und für sein Leben eigenständig sorgen kann. Elias hatte diesen Ort gefunden, weit entfernt von seinem Heimatort in einsamer Berglandschaft. Er war kein Einsiedler geworden, denn er ging auch regelmäßig ins Tal, um an dem regen Dorfleben teilzunehmen, aber die meiste Zeit verbrachte er auf den Almen, und oft stieg er den beschwerlichen Weg von Zuriza aus über den Collado Abizondo auf diesen Gipfel hinauf, um dort die Nacht zu verbringen.  Zur Nordseite hin stürzte sich der Fels fast senkrecht in die Tiefe und wies die Form eines Hufeisens auf. Er liebte es, nahe dieses Abgrundes zu biwakieren, und völlig den Naturgewalten ausgesetzt zu sein, denn nicht immer zeigte dieser Berg seine liebenswürdige Seite wie heute, an dem sich der Sternenhimmel über ihn wölbte und eine helle schmale Sichel des Mondes genügend Licht abwarf, um die groben Konturen der Wege wahrzunehmen, die sich ins Tal schlängelten.
 
Elias wendete die Kartoffeln, die er in Alufolie an den Rand des Feuers gelegt hatte, damit sie nicht anbrannten. Er überreichte Patou seine Lieblingswurst, die er vorsichtig mit seinen Zähnen vom Holzstab zog, und langsam verspeiste. Er hatte dabei keine Eile, denn er wusste, dass er jederzeit etwas zu Essen bekam, wenn der Hunger ihn plagte. Elias bewunderte die Gelassenheit und Ruhe, welche Patou stets ausstrahlte. Seit sieben Jahren lebten sie gemeinsam in den Pyrenäen, wo Elias ihn als kleinen Welpen in einem Tierheim entdeckt hatte. Normalerweise musste man für diese Hunderasse sehr viel Geld bezahlen, aber dort waren sie froh, dass dieser Pyrenäenberghund ein gutes Zuhause bekam. Mit dem weißen langen Fell, der schwarzen Nase und einer stattlichen Größe von ca. 80 cm hatte er sich zu einer besonderen Schönheit entwickelt. Diese Rasse ist hervorragend als Hüte- und Schutzhund geeignet, und wurde im 15. Jahrhundert als Wächter für die luxuriösen Schlösser gehalten.  Sie sind zwar sehr eigensinnig, aber wenn sie  dich ins Herz geschlossen haben, können sie zu einem Freund fürs Leben werden, der immer treu an der Seite steht.  Aber nicht nur Elias wurde von Patou bewacht, sondern er hatte zusätzlich die Aufgabe 22 Schafe beisammen zu halten, und das war manchmal kein leichtes Spiel. Besonders wenn die kleinen Lämmer die Welt erkunden wollten, musste er schon außerordentlich aufpassen, dass sie sich nicht zu weit von der Herde entfernten. Am Tag konnten die Schafe die Freiheit auf den unendlichen Almen  genießen, aber jeden Abend wurden sie von Patou in eine umzäunte Wiese getrieben, auf der ein kleiner Stall stand, um sie vor Unwetter und wilden Tieren zu schützen.  Elias liebte seine Arbeitstage, in denen er in der freien Natur sein konnte und von Tieren umgeben war. Hatte er doch früher viele Stunden seines Lebens mit endlosen Planungen in seinem Büro vergeudet, während in dieser Zeit das wirkliche Leben an ihm vorbeieilte. Die Arbeit war durchaus nicht sinnlos, und er verhalf durch seine Mühe den Menschen zu einem äußerlich schönen Zuhause, aber die Freude die er dabei verspürte nahm mit den Jahren zusehends ab.
 
Elias lehnte sich an einen großen Felsbrocken, sodass er fast so bequem wie auf einem Sofa saß, nur mit dem Unterschied, dass er drinnen nicht solche überwältigende Aussicht auf die Milliarden von Sterne gehabt hätte, und hautnah das wärmende Feuer spüren würde. 
 
Er schälte sich eine heiße Kartoffel, wendete sie in einem Teller mit Kräutersalz und Butter, und genoss diese einfache, und doch so köstliche Mahlzeit. Natürlich teilte er dies auch mit Patou, der ihn mit treuen Augen anblickte, denen man nicht widerstehen konnte. 
An diesem einsamen Ort in den spanischen Pyrenäen fand Elias endlich zu einer inneren Stille, die er in der hektischen, materialistischen äußeren Welt nicht finden konnte, da er sich nicht die Zeit genommen hatte, um ihr zu lauschen. Vielleicht hatte er sie auch verdrängt, aus Angst sich selbst näher zu kommen, und damit eine Lawine ins Rollen zu bringen, der er damals wahrscheinlich nicht gewachsen gewesen wäre. Er hatte ein Leben gelebt, wie die meisten Menschen. Unbewusst, den Mustern der Familie, der Religiosität und seinem Umfeld folgend, und hatte seine wahren inneren Wünsche und Gefühle nicht beachtet. Es sollten erst viele Puzzleteile zusammengefügt werden, bis er langsam aufwachte und sah, dass er etwas verändern musste.  Nun fand er sich in dieser idyllischen Berglandschaft wieder, wo er im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten lebte, und endlich Zeit fand über das Geheimnis des Lebens nachzudenken, aber auch um vermehrt in der Gegenwart zu leben, und alle Planungen, die immer die Zukunft betreffen, hinter sich zu lassen.